„Lieber Bürgermeister Herr von Kirchbach, liebe Vertreter*innen der Stadt Freiburg , liebe Kultur- und Kunstschaffende, liebe Anwesende!
Mein Name ist Natalia Herrera, ich bin freischaffende Schauspielerin und ich stehe hier stellvertretend für die sogenannten Solo-Selbständigen Künstler*innen der Branche.
„Das hat etwas mit Würde zu tun.“
Das waren die Worte von Markus Söder bei der Pressekonferenz am 10. Februar 2021 nach der Bund-Länder-Beratung.
Es ging um die Lockerungen und die von allen so dringlich herbeigesehnten Öffnungen.
Die Öffnung der Friseure habe also für „einige auch etwas mit Würde zu tun“.
Ich gönne den Friseuren natürlich, dass sie wieder arbeiten dürfen und viele von uns von ihrem neandertalischem Höhlenmenschen Look befreien.
Trotzdem: das war für mich der Punkt in dieser ganzen Zeit der Pandemie, an dem ich wirklich nicht mehr wusste, ob ich lachen oder weinen oder mir einfach meine Neandertaler- Haare raufen sollte, ob der völligen VER-RÜCKTHEIT der aktuellen Realität.
Nicht mehr arbeiten zu können, nicht mehr arbeiten zu DÜRFEN, ist seit einem Jahr die mittlerweile ganz normale Realität für unzählige freischaffende Künstler*innen.
Und das macht etwas mit unserer Würde!
In der Kunst- und Kulturwelt tätig zu sein, ist arbeits- und zeitintensiv. Es kostet Blut, Schweiß, Tränen und bringt meist nicht wahnsinnig viel Geld. Aber Freude, Inspiration, Begegnung mit neuen Dingen, Abenteuer, Schönheit, Freiheit, Leben, Freundschaft und so vieles mehr.
Und es gibt uns Würde! Die Würde, die Menschen zu sein, die wir sein wollen, die Dinge zu tun, die uns bewegen, uns emotional berühren und auch zum dem machen, wer wir sind. Unsere Arbeit ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Identität. Einige wenige von uns hatten das große Glück während des letzten Sommers noch Open-Air arbeiten zu können. Aber die Mehrzahl unter uns war in einem Dauerzustand von Planungslosigkeit, Unsicherheit und unfreiwilliger Arbeitslosigkeit gefangen.
Dieses letzte Jahr war anstrengend und zermürbend. Und es hat auf brutale Art und Weise viele Missstände in unserer heutigen Gesellschaft aufgezeigt. Die Versäumnisse in der Bildungspolitik, dem Gesundheitswesen, der Digitalisierung, der sozialen Gerechtigkeit, der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau und und und ….
Es wurde oft betont, dass dieses Virus vor niemanden Halt macht, es uns alle gleich macht, denn es treffe uns ja alle gleich. Aber das stimmt so nicht. Die Pandemie hat die Missstände, die schon vorher da waren nicht nur sichtbarer gemacht, es hat sie noch vergrößert.
Die schon vor der Pandemie oftmals prekären Lebenssituationen der freischaffenden Künstler*innen haben sich noch weiter verschlechtert. Und es hat gezeigt, dass die wahrhaftige Wertschätzung von Kunst und Kultur in dieser Gesellschaft leider oftmals nicht über politische Lippenbekenntnisse hinausgeht. Auch das ist symptomatisch für dieses kränkelnde System und ist eine bittere Erkenntnis. Und auch das macht etwas mit unserer Würde!
Die Not hat aber auch gute Dinge zum Vorschein gebracht: Solidarität zwischen den Künstler*innen, Projekte, die mit vielen Mühen, ausgefeilten Hygienekonzepten und allen Unsicherheiten zum Trotz auf die Bühnen gebracht wurden. Neue Ideen entstanden, hybride Theaterformen wie Live-Streams oder Audioformate wurden ausprobiert, alternative Orte ob analog oder digital gefunden. Die Künstler*innen haben bewiesen, dass sie nicht verharren, sondern kreativ und lebendig bleiben.
Vor allem hat diese Krise aber dazu geführt, dass wir endlich begonnen haben uns zu organisieren! Gemeinsam haben wir angefangen auf unsere Situation aufmerksam zu machen und dafür zu kämpfen sie gemeinsam zu verbessern. Unzählige Petitionen, Demonstrationen und Kundgebungen, Kulturinitiativen und Aufrufe von prominenten Künstler*innen bei der Politik haben dazu geführt, dass es bei den Corona-Hilfen zu Nachbesserungen kam, damit diese Hilfen auch tatsächlich überhaupt bei uns ankommen können!
Dieses gemeinsame, organisierte und solidarische Miteinander sollten wir uns beibehalten und es mitnehmen in die Zeit „danach“—-wie auch immer diese aussehen wird.
Denn wir alle, die wir in der Kunst- und Kulturwelt tätig sind schaffen für die Gesellschaft einen Mehrwert, der weit über eine rein wirtschaftliche Bedeutung hinaus geht: wir ernähren die Seelen der Menschen! Kunst und Kultur sind mehr als nur systemrelevant, sie sind lebensrelevant!
Und deshalb: Bleibt untereinander solidarisch! Organisiert euch weiterhin! Bleibt kreativ! Und bleibt kämpferisch, kritisch und laut! Danke für eure Aufmerksamkeit!